Holocaust-Mahnmal – Wenn jeder Stein mehr als tausend Worte sagt
VON PHILIP VOLKMANN-SCHLUCK
Es war eine dumme Idee. Aber was daraus geworden ist, lohnt sich zu betrachten. Da steht ein Teenager vor dem Stelenfeld, dem Denkmal für sechs Millionen ermordete Juden, lacht in die Kamera und streckt seinen Daumen nach oben. Er macht sich lustig. Das Bild lädt er ins Internet, um dafür von seinen Freunden gefeiert zu werden. Aber statt Zuspruch erhält er Kritik aus aller Welt. Ein Blog, der „Selfies an ernsthaften Orten“ sammelt, verbreitet das Bild. Wenig später schreibt der Junge eine Entschuldigung. „Ihr habt mir geholfen zu merken, dass ich mich wie ein Idiot benommen habe.“
Die neue Öffentlichkeit für das Gedenken ist das Internet. Politiker können viele Reden halten über das Grauen der Geschichte. Aber dass ein junger und ziemlich gedankenloser Mensch so hart mit sich ins Gericht geht, würden sie kaum schaffen. Dieser Ort mitten in Berlin ist einer der meistfotografierten der Stadt, es wird posiert, Selfiestangen an Handys angebracht, um sich, die Freunde und auch die Stelen aufs Bild zu kriegen. Damit bringt dieser Ort jeden Einzelnen dazu, sich ins Verhältnis zur Geschichte setzen. Heute, zehn Jahre nach der Einweihung am 10. Mai 2005, sind Millionen Fotos von dieser zentralen Gedenkstätte Deutschlands im Netz. Jedes Foto, ob ein gutes oder ein schlechtes, sagt immer auch diese stumme Zahl. Sechs Millionen ermordete Juden.
Die letzte große Debatte über das Erinnern an den Holocaust in Deutschland ist seit Jahren vorbei. Das Ergebnis ist ein Denkmal, das es mühelos ins digitale Zeitalter geschafft hat.
Der Mann, der das Stelenfeld erfunden hat, erzählt erst mal einen Witz. Ein kugelrunder Amerikaner, 83, ein Geschichtenerzähler. Peter Eisenman, Stararchitekt aus New York, ist in der vergangenen Woche in Berlin, um einen Vortrag im Max-Liebermann-Haus am Brandenburger Tor zu halten. „2711“, die Zahl der Stelen: Oft sei er gefragt worden, was die bedeute. Mal habe ihm ein orthodoxer Rabbi zugeraunt, die Zahl sei kein Zufall, denn genau so viele Seiten habe die moderne Ausgabe der Thora. „Du meine Güte“, sagt Eisenman, „wie konnte das nur passieren?“ Ein Unfall sei die Zahl, mehr nicht, nur Ergebnis vieler Planänderungen. Und seit eine der Stelen zur Reparatur ausgebaut wurde, es also nur noch 2710 sind, schaue er sich sein Projekt an wie ein Suchbild in einem Kinderbuch. Welcher Stein fehlt? Es sei wie bei „Wo ist Walter?“
Wenn ein großer Baumeister so über eines seiner genialsten Werke spricht, kann er das, weil er Erfolg hat. Interpretieren sollen die anderen. Alles ist erlaubt, nur eines nicht: Langeweile.
Deutungen gibt es reichlich. Viele von denen, die um den Sinn dieses Denkmals gerungen haben, sind an diesem Abend ins Max-Liebermann-Haus gekommen. Das Mahnmal ist auch die Geschichte einer geschlagenen Schlacht, einer demokratischen allerdings – zum Glück.
Beim Vortrag sitzt Michael Naumann in der ersten Reihe, damals SPD-Kulturstaatsminister unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Naumann verglich 1998 den Entwurf von Eisenman mit der Architektur des Nazis Albert Speer. Eisenman bescheinigt Naumann an diesem Abend dann auch in aller Öffentlichkeit eine „kurze politische Karriere“. Für die Gewinner sitzt in der ersten Reihe Lea Rosh, die Fernsehjournalistin, die seit 1988 für ein Mahnmal gekämpft hatte und sich den Ruf hart erarbeitet hat, nicht immer einfach zu sein. Ihr bescheinigt Eisenman, sie seien noch immer das: „Lovers.“
Peter Eisenman erzählt die Geschichte über das Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl stellvertretend für seine Mühen mit der Politik. Im Jahr 1998 hatte Kohl ihn und seinen damaligen Partner, den Bildhauer Richard Serra, zum Gespräch geladen, um ihren Entwurf zu besprechen. „Ich dachte, ein Treffen mit dem Kanzler würde höchstens zehn Minuten dauern“, sagt Eisenman. „Aber es dauerte zwei Stunden und Kohl erzählte viel über die Bedeutung des Judentums.“ Was merkwürdig klingt, Eisenman ist Jude, was soll man ihm erzählen? Kohl gab noch mehr Ratschläge, bis es dem Bildhauer Serra zu viel wurde. Er sagte zum Kanzler: „Sie sind ein kleiner Bürokrat.“ Und dann fragte er auch noch Eisenman, wie er es aushalte, dass ihm ständig Leute reinredeten? Kohl habe geantwortet, er sei kein Bürokrat, sondern Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.
Kanzler Schröder ist skeptisch
Richard Serra stieg aus. Aber Eisenman wollte unbedingt bauen. Natürlich, in der einstigen Hauptstadt des Bösen.
Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sich als Mahnmal einen Ort wünschte, „zu dem man gerne geht“. Was wohl hieß, es solle erst mal gar keins geben. Denn wer geht schon „gerne“ zu einem Mahnmal für den Holocaust?
Doch genau das ist passiert. Das Stelenfeld steht an einem Ort der Wiedervereinigung, der früher vom Osten wie vom Westen der Stadt weit weg schien. Zonenrandgebiet. Heute ist es ein Platz mitten im neuen Deutschland. Im Hotel „Adlon“ gibt es Zimmer mit Blick auf das Holocaust-Mahnmal.
Viele Besucher laufen unmerklich hinein. Es beginnt vermeintlich harmlos, am Rand sind die Stelen noch flach. Nur wenige Schritte weiter ist es zu eng, um gemeinsam zu gehen. Hohe Stelen überragen jeden Menschen. Es wird still um den Besucher, mitten in der Stadt. Jeder ist allein mit seinen Gefühlen. Kinder füllen diese Einsamkeit mit Versteckspielen. Sie fangen an, zu suchen.
Es erinnert an die Betonpfeiler im Jüdischen Museum von Daniel Libeskind. Das ist wohl das Original, aus dem Eisenman einen besseren und erfolgreicheren Hit machte. Hits dürfen auch traurig sein.
Als die deutsche Mannschaft im Sommer 2014 Fußballweltmeister wurde, waren so viele Menschen im Regierungsviertel wie nie zuvor. Familien hatten spontan Urlaub genommen, um das Team am Brandenburger Tor zu feiern. Zwar war das Stelenfeld ausnahmsweise abgesperrt, was vielleicht gar nicht nötig gewesen wäre. Vandalismus ist, entgegen Prognosen, kein Problem. Trotzdem sagten die Stelen jedem, der vorbeikam: sechs Millionen. Leise genug, um sich erst auf der Rückfahrt darüber Gedanken machen zu müssen.
Direkter ist es, wenn man den Ort der Information besucht und dort den Brief des Mädchens Judith liest: „Lieber Vater, vor dem Tod nehme ich Abschied von Dir. Wir möchten so gerne leben, doch man lässt uns nicht (…) Ich habe solche Angst vor diesem Tod, denn die kleinen Kinder werden lebend in die Grube geworfen.“
Frage an Eisenman aus dem Publikum im Liebermann-Haus. Ein Touristenführer will wissen, ob das geht, wenn sich Fans mit einer Deutschlandflagge auf eine Stele stellen? „Ja“, er habe keinen heiligen Ort gewollt.
Dann lässt der Architekt die Zuhörer mit diesem Satz alleine: Das Mahnmal solle ein normaler und alltäglicher Ort sein, an dem zugleich nichts normal und nichts alltäglich sei, sagt Eisenman.
Bedeutet dieser Satz nun sehr viel? Oder sehr wenig?
Noch immer ist das Mahnmal ein Ort, über den viel diskutiert werden könnte. Angezweifelt wird er öffentlich nicht mehr. Der Schriftsteller Martin Walser hatte 1998 in einer viel beachteten Rede in der Frankfurter Paulskirche gesagt, Auschwitz eigne sich nicht als „Moralkeule“. Im oft verkürzten Wortlaut sagte Walser:
„Ich möchte verstehen, warum in diesem Jahrzehnt die Vergangenheit präsentiert wird wie nie zuvor. Wenn ich merke, dass sich in mir etwas dagegen wehrt, versuche ich, die Vorhaltung unserer Schande auf die Motive hin abzuhören, und bin fast froh, wenn ich glaube entdecken zu können, dass öfter nicht das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken.“
Das geplante Mahnmal lehnte Walser ab. Symbolik drohe Phrase zu werden, mit seinem Gewissen sei jeder allein. „Und nichts ist dem Gewissen fremder als Symbolik, wie gut sie auch gemeint ist.“ Daraufhin warf ihm Ignatz Bubis, Präsident des Zentralrates der Juden, vor, Walser wolle „wegschauen“.
Ein ganz persönlicher Erfolg
Eine weitere Ironie: Die Dialektik von Walser und Bubis war es, die dem Projekt am Ende zu dem nötigen politischen Druck verhalf. Martin Walser zeigt sich nun versöhnlich. Er würde seine Worte zwar nicht korrigieren, aber die Rede nicht noch einmal halten, sagte er kürzlich dem „Spiegel.“
Die Frau, die seit 1988 für ein sichtbares Zeichen der Reue in der Stadt der Täter gekämpft hatte, öffnet die Tür zu ihrer Wohnung in West-Berlin. „Haben Sie Ihre Schuhe ausgezogen?“, fragt sie zur Begrüßung. Lea Rosh, die Journalistin, führt in ihre Wohnung mit hohen Regalen. Büchern über den Holocaust, das Dritte Reich und Israel. Kaum zu übersehen: ein Schnappschuss, der Lea Rosh mit Kanzlerin Angela Merkel zeigt.
Rosh ist guter Stimmung, schließlich reden wir über ihre ganz persönliche Erfolgsgeschichte. Vor fünf Jahren wurden die Feierlichkeiten noch gestört. Da lief der jüdische Publizist Henryk M. Broder als Stele verkleidet durch das Feld, für seine Sendung „Entweder Broder“. Er sagte Sätze wie: „Sie feiern sich gegenseitig dafür, dass es so viel Courage gekostet habe, dieses Mahnmal zu errichten.“ Dabei habe es gar keine Courage gekostet, es sei Mainstream. Der Beitrag zeigte einen Auszug aus der Rede des Historikers Eberhard Jäckel, der an der Seite von Rosh kämpfte. Jäckel sagte: „In anderen Ländern beneiden manche die Deutschen um dieses Mahnmal.“
Ausland? Neid? Holocaust? Dieser Satz, so zitiert, klang und klingt unglücklich. Wird Symbolik also doch zur Phrase, wie Walser es in seiner Rede sagte? Rosh sitzt da und regt sich nicht auf. „Lass ihn machen“, habe sie gedacht, als Broder die Feierlichkeiten störte. Sie sagt: „Ich habe aufgehört mit zu verfolgen, was Broder von sich gibt, er ist mir einfach nicht gut genug.“
Das Fundament ihres Denkmals liegt zu tief für Kritik an der Oberfläche. Deshalb kann es keine Phrase sein, nicht für Lea Rosh. Als sie begann, gab es noch das alte West-Berlin. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) war gegen das Mahnmal, eine „Hauptstadt der Reue“, lehnte er ab. Stolpersteine wurden noch nicht verlegt. Es war Kalter Krieg und Berlin war weit davon entfernt, ein Reiseziel für Israelis zu sein. Dass im Jahr 2014 ein Blogger aus Tel Aviv das israelische Parlament mit seinem Aufruf alarmieren würde, wegen günstigerer Lebenskosten aus Israel nach Berlin auszuwandern, hätte man in den 80er-Jahren für einen schlechten Scherz halten müssen.
Rosh drehte damals ihre gefeierte Fernsehdokumentation „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Mit dem Historiker Eberhard Jäckel besucht sie die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Es war zuerst Jäckels Idee, sagt Rosh. Ein Mahnmal, errichtet vom Volk der Täter. Zwar gab es bereits Mahnmale in Deutschland. Aber nahezu 98 Prozent der Juden, die ermordet wurden, stammten eben nicht aus Deutschland. Rosh ging es um die Gesamtheit. Die Dimension, die sich nur mit einem Blick auf die Liste der Länder erahnen lässt: Die Ermordeten aus Ungarn, Niederlande, Rumänien, Italien, Jugoslawien, Norwegen, Dänemark, Polen, Russland, Tschechien, Österreich, Griechenland, Belgien, Frankreich, Luxemburg, Albanien, Bulgarien.
„Kinderchen“, habe Rosh nach ihrer Rückkehr aus Yad Vashem zu ihren Mitstreitern gesagt, „das dauert zwei, drei Jahre, es gibt ja nicht viel zu diskutieren.“ Sie sammelten Unterschriften, um einen Beschluss des Parlamentes zu erzwingen.
„Kriegen die Juden wieder eine Extrawurst?“, fragte sie einmal ein Mann am Unterschriftenstand. „Ja, so wie sie in Auschwitz auch eine Extrawurst bekommen haben“, antwortete Rosh. Die Vernichtung der Juden, „das war der Kern der Hitlerschen Vernichtungspolitik“.
Es sollte 17 Jahre bis zur Einweihung dauern. 17 Jahre, in denen Lea Rosh den Mächtigsten des Landes sehr nahe kam.
Rosh, Jahrgang 1936, bezeichnet sich als Atheistin. Ihr Aussehen ist das einer feinen Dame, wie man sie in einem guten Jerusalemer Hotel während der Bar-Mizwa-Feier ihres Enkels treffen könnte. Eine Dame, mit der sich die Schwiegertochter besser nicht anlegt. Als Rosh damals ankündigte, sie wolle den Backenzahn eines ermordeten Juden – den hatte sie vor vielen Jahren im Vernichtungslager Belzec gefunden – in einer der Stelen einbetonieren lassen, war die jüdische Welt entsetzt. Bestattungen sind streng genommen nur auf jüdischen Friedhöfen erlaubt. Sie habe sich zuvor bei einem Rabbiner erkundigt, versichert Rosh. „Ich wusste nicht, was sehr orthodoxe Juden daraus machen können.“ Aber es seien eben viele Menschen eifersüchtig darauf gewesen, was sie erreicht habe. „Neid ist der Begleiter jeder Erfolgsgeschichte, damit muss man leben“, sagt Rosh.
Eine Platte mit den Opfernamen
Aber wie sollte das Mahnmal aussehen? Ein großer Davidstern? Oder gar ein Riesenrad mit Eisenbahnwaggons? „Schreckliche Vorschläge waren dabei“, sagt Rosh. Die erste brauchbare Idee war eine Platte, auf der die bekannten Namen der Opfer stehen sollten: Rund 3,2 Millionen. In einem späteren Entwurf sollten Besucher ihre Antworten auf ein „Warum“ schreiben, die dann fortlaufend in das Mahnmal eingraviert würden.
Bundeskanzler Helmut Kohl wollte das Projekt – und nach dem Fall der Mauer hatte er auch dem heutigen Ort zugestimmt: in den ehemaligen Ministergärten. Mit der Neuen Wache hatte Deutschland bereits einen klassischen Gedenkort errichtet. Teilnehmer erinnern sich, dass Kohl bei der Einweihung der gestalteten Neuen Wache im Jahr 1993 mit Ignatz Bubis sprach. Vermutlich hat er ihm ein Mahnmal für die Juden versprochen. Aber ein Denkmal für die Schande, das war Neuland.
Wenig später saß Lea Rosh bereits beim Bundespräsidenten Roman Herzog, um ein Spenden-Abendessen für die deutsche Wirtschaft zu planen. Da lief im Radio, dass Kohl den aktuellen Entwurf ablehne. Erst ein zweiter Wettbewerb, diesmal mit großen Namen, brachte Vorschläge, die wirklich eine Chance hatten. Die Sieger: Peter Eisenman und David Serra mit einem sonderbaren Labyrinth aus Betonklötzen.
Es war Frühsommer im Jahr 1998, als der Anruf kam. Rosh war auf einem Drehtermin, da klingelte ihr Mobiltelefon. Die Vorzimmerdame des Kanzlers war dran. „Gehen Sie in einen Hauseingang“, sagte Frau Weber. Sie verband Rosh mit dem Kanzler.
„Gnädige Frau“, sagte Kohl.
„Ich bin keine gnädige Frau, Herr Kohl“, antwortete Rosh. Sie nennt den Bundeskanzler stets nur „Herrn Kohl“.
„Gnädige Frau“, fuhr der Bundeskanzler fort, „wir werden das Denkmal bauen.“
„Dann müssen Sie sich beeilen, Herr Kohl“, sagte Rosh. „Wenn Gerhard Schröder gewählt wird, gibt es kein Denkmal.“
Rosh sagt, schon vor der als sicher geltenden Wahl von Gerhard Schröder als Nachfolger von Helmut Kohl habe der künftige Kulturstaatsminister, Michael Naumann, sie über ein Interview in der Zeitung wissen lassen: Das Stadtschloss werde gebaut, aber nicht das Denkmal.
Natürlich überlegte Rosh, aus der SPD auszutreten, in die sie 1968 wie so viele vor allem wegen Willy Brandt eingetreten war. Aber bei den Meinungen zum Mahnmal ging der Riss quer durch alle Parteien und Bündnisse. So saß bei der Abstimmung im Bundestag der Gegner, Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen, nur von einem frei gelassenen Stuhl getrennt neben Berlins Bürgermeisterin, Annette Fugmann-Heesing (SPD), die eine Rede für das Mahnmal halten würde. Zuvor war berichtet worden, Diepgen habe seiner Bürgermeisterin die Dienstreise nach Bonn nicht bewilligen wollen, auf dass sie im Bundestag nicht würde sprechen können. Aber das Thema war ohnehin keine Berliner Angelegenheit mehr.
Es war die letzte große Entscheidung im Bundestag vor dessen Umzug von Bonn nach Berlin, in der die Abgeordneten mit Zweidrittelmehrheit für das Stelenfeld stimmten. Lea Rosh sagt, ihr Körper habe noch nie so viel Adrenalin ausgeschüttet wie bei dieser Abstimmung. Später sei Kulturstaatsminister Naumann zu ihr und ihren Mitstreitern gekommen und habe, so erinnert sie es deutlich, gesagt: „Sie haben gewonnen und wir haben verloren. Aber das werden Sie noch bereuen.“
Das ist lange her. Im Max-Liebermann-Haus, an dem Abend mit Eisenmans Vortrag, wird auch das Engagement von Rosh gewürdigt. Und Michael Naumann sitzt in der ersten Reihe und applaudiert. Die Schlacht ist eben geschlagen.
Auch Diepgen, der damals so entschieden gegen das Mahnmal war, blickt heute entspannt zurück. „Über diese Diskussionen ist die Zeit hinweggegangen“, sagt er im Gespräch mit der Berliner Morgenpost. „Mich überzeugte damals die Position des Theologen Richard Schröder, der für ein schlichtes Mahnmal mit der Inschrift ‚Du sollst nicht töten‘ plädierte.“ Aber die später beschlossene Erweiterung des Stelenfeldes um den heutigen Ort der Information halte er für richtig. Insgesamt aber, sagt Diepgen, seien Größe und Anzahl von Gedenkstätten nicht automatisch ein Zeichen von Qualität der Erinnerungskultur: „Das galt aus meiner Sicht auch für ein Stelenfeld, das zwei Fußballfelder umfasst und Kinder zum Versteckspielen, junge Pärchen zum Picknick auf den Stelen verleitet.“ Es ist deutlich, dass Diepgen das Mahnmal noch immer skeptisch sieht. Was aber nicht nur Diepgen stört, sondern auch Lea Rosh und viele andere – sind die „Curry- und billige Andenkenbuden“ gegenüber dem Gedenken an Millionen ermordeter Menschen, wie der ehemalige Regierende Bürgermeister sagt.
Banalität des Alltags
Gehört sie zur Banalität des Alltags, diese Fressmeile am Mahnmal? Da stehen Kellner ziemlich nah an einem Mahnmal für sechs Millionen Tote. Einer ruft einer Gruppe älterer Damen zu: „Na, habt ihr Bock auf einen richtig guten Kaffee?“ Und wenn sich dann Besucher an einen Tisch gesetzt haben, zeigt der Kellner auf den Himmel über den Stelen und sagt: „Dort oben scheint gleich wieder die Sonne.“
Doch was kann das schon dem Holocaust-Mahnmal anhaben? Egal, was die Menschen dort machen: alberne Fotos, Picknick, Versteckspielen, am besten noch für alle im Internet sichtbar. Immer wieder sagt es stumm nur diesen einen Satz: Es waren sechs Millionen.